Überleben bei einer Balkanreise im Kreditkartendesaster zum Jahreswechsel 2009 /2010.

Wie es sich so trifft: Bei einer Silvesterfahrt nach Wien und Ungarn und Kroatien sind in Wien alle Barreserven fast ausgegeben: Man hat ja zwei Kreditkarten und eine Postsparkarte – also kein Problem, auf der weiteren Reise an Bargeld zu kommen... Doch in Budapest die ersten Erfahrungen mit den Bankautomaten: “Das System steht für diese Transaktion nicht zu Verfügung.“ Und an allen weiteren Automaten, an denen ich es versuche, dasselbe Spiel: Es gibt kein Geld! Und in der Deutschen Welle kommt die Meldung, dass wegen eines Systemfehlers im Ausland kein Geld an den Bankautomaten mit den Kreditkarten abgehoben werden kann. Immerhin funktioniert die Postsparkarte noch, und so kann die Pension in Budapest bezahlt werden. Doch wie es der Teufel will, ist wegen einer größeren Anschaffung kurz vor der Reise diesmal nicht mehr auf dem Konto. Glücklicherweise kann ich in Ungarn als EU-Senior über 65 gratis mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, also kann die geplante Reise nach Szegedin und in Nachbarstädte erst einmal stattfinden. Die Kleckerbeträge für die Zuschläge, die anfallen, habe ich ja noch... Und die kleine Pension am Stadtrand von Szegedin aus dem Internet nimmt zwar keine Kreditkarten an, doch in der Deutschen Welle wurde ja gesagt, dass an der Behebung des Fehlers gearbeitet wird, also wird ja wohl bis zur Abreise wieder Geld in Bankautomaten zu Verfügung stehen.



Inneres der prächtigen Jesuitenkirche in Wien: Ich meine, mich zu erinnern, dass es am 3. 1. 2010 eine Mozatmesse gab...

Wir kennen immer nur den ungarischen Namen der Grenzstation Österreich/Ungarn, doch auf der Straße geht es zweisprachig zu!

Die St.-Stephans-Kathedrale in Budapest - benannt nach dem ersten König von Ungarn.

Das Elternhaus des Gynäkologen Ignaz Semmelweis, der die Ursache des Kindbettfiebers entdeckte. Es lag daran, dass sich die Ärzte, die gleichzeitig Leichen sezierten, sich vor ihrer Arbeit bei der Geburtshilfe nicht richtig die Hände wuschen.

Semmelweis rieb sich beim Engagement gegen die Verbohrtheit seiner Kollegen so auf, dass er schließlich in einer Nervenklinik landete und dort durch einen Unglücksfall starb. Die Gebeine sind heute in der Hofwand eingemauert.

 
Es lohnt schon eine Reise: Die Jugendstil-Fassade des wunderschönen Rathauses von Kecsemét zwischen Budapest und Szegedin. "Jugendstil" heißt in Österreich und Ungarn allerdings auch "Secession".

Bis dahin kann ich ja in den Restaurants essen gehen, in denen sie Kreditkarten annehmen. Also suche ich bei einem Ausflug in das wunderhübsche Städtchen Gyula an der rumänischen Grenze (aus dem die Eltern von Albrecht Dürer stammen - hier gibt es u. a. auch noch eine 170 Jahre alte Konditorei mit Originalbiedermeierausstattung, leider machen sie gerade Winterferien) das wohl beste Restaurant am Platze mit den Visa- und Mastercardzeichen – und genieße den leckeren Entenschenkel. Und auch noch ein Glas Wein dazu. Ich kann ja bezahlen... Doch als es dann ans Bezahlen geht und ich mit meiner Mastercard winke, winkt die Bedienung ab. Nein sie nehmen keine Karten, ihr System funktioniert nicht... Was tun? Ich sage, dass ich nicht bezahlen kann, ich habe kein Bargeld und das Bankomatsystem ist defekt und ich hätte mich auf die Kreditkartenzeichen an der Tür verlassen. Nein, ich sollte es doch einmal mit der Barabhebung an einer anderen Bank versuchen, in der Straße gebe es einige, doch ich beweise es der jungen Dame, indem ich sie mitnehme und ihr die ungarische Version des Funktionsunfähigkeitstextes vorführe. Also zum Chef des Restaurants, der soll entscheiden! Und der strahlt, als er den Sachverhalt erfährt, nein, ich sei ihr Gast, ich sollte einfach bei ihnen vorbeisehen, wenn ich wieder mal in der Gegend sei...

Na, das ist ja eine herrliche Lösung bei diesen netten Menschen!

Brunnen vor dem neobarocken Rathaus von Szegedin: Drei Mädchen auf einem Delfin symbolisieren die gute, die fischreiche, lebenspendende Theiß. Doch die Theiß kann eben auch sehr "böse" sein: 1878 stand die Stadt sechs Monate unter Hochwasser. Das bedeutete für die damaligen Lehmhäuser völlige Zerstörung. Szegedin wurde danach komplett neu aufgebaut. Ganz Europa beteiligte sich.





Jugendstilhaus in Szegedin, der sogenannte "Grafpalast" - ja, bei uns wurden die Häuser in diesem Stil im Krieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Das galt nach dem Krieg alles als kitschig...



Und auch im Detail in Nebenstraßen: Da gab man sich mit den Fassaden noch Mühe!



In Szegedin steht die größte Synagoge Europas, die noch in Funktion ist und nicht zu einem Museum entfremdet wurde.



Die "Altarseite" - nein, einen Altar kennen die Juden ja nicht...



Auch in Szegedin gibt es ein prächtiges Bad!



Fünfkirchen ist ja in diesem Jahr die dritte Kulturhauptstadt Europas. Die Moschee auf dem zentralen Platz wurde nach der türkischen Herrschaft von 1543 - 1686 eine christliche Kirche (vor der Türkenzeit stand da auch eine Kirche).  

Unter anderem gibt es in Fünfkirchen das Csontváry-Museum und das Vasarely-Museum. Mir haben besonders die Bilder von Tivadar Kosztka Csontváry (1853 – 1919) gefallen, der von Beruf eigentlich Apotheker war, seinen Beruf dann aufgab und nach Palästina, Libanon, Sizilien, Griechenland, Bosnien und Ägypten reiste. In Erinnerung an diese Reisen hat er dann eher als Autodidakt figurative Bilder in expressiver Farbigkeit gemalt – bis zum Format von 4 mal 7 Metern! Und zu seiner Zeit hielt man so wenig von seiner Kunst, dass nach seinem Tod seine Erben alles für den Preis der Leinwand verkaufen wollten. Doch ein Architekt erkannte die Kunst, kaufte alles und stiftete für die Bilder ein Museum. Und schon vor vielen Jahren hatte ein Scheich für eines der Libanonbilder mehrere Millionen Dollar geboten!

Und in Fünfkirchen aß ich in einem kleinen Weinkeller öfter das Tagesmenü für umgerechnet kaum drei Euro – und die Wirtin schöpfte den Wein mit Messbechern aus den vier Behältern, die in der Theke eingelassen sind – wie wohl vor zweitausend Jahren auch in Pompeji, jedenfalls habe ich die Reste solcher Behälter in einer Theke dort in den Ruinen gesehen!





Ja man sieht´s: Das Kreuz über dem Halbmond! Der Blickfang, das Kreuz über dem Halbmond, stammt allerdings erst von einer Restaurirung aus neuer Zeit her.



Rest der Grenzbefestigung zwischen Ungarn und dem früheren Jugoslawien. Hier bröckelte der Eiserne Vorahang zuerst!

Doch der Tag der Abreise naht und immer noch nicht tun's die Bankautomaten, wie komme ich nur an Bargeld für die Pension? Da fällt mir ein, dass sie bei Aldi- und Lidl-Ungarn ja auch die Kreditkarten gegen Unterschrift genommen haben, also dort müsste doch etwas gehen! Also hin in den nächsten Supermarkt, diesmal ist es Lidl, und ich suche mir kurz vor der Kasse Kunden mit einem möglichst vollen Einkaufswagen aus und erkläre ihnen in Englisch kurz mein Problem und bitte sie, dass ich mit der Kreditkarte für sie bezahle und sie mir das Geld in bar geben. Klar, gleich das erste Ehepaar, das ich anspreche, macht mit. Und als ich den Herrn frage, wieso er so gut Englisch spricht, sagt er, dass er Ire ist und in Szegedin verheiratet ist. Und auch bei den nächsten Kunden mit vollem Wagen klappt das Manöver. Ach, und der Ire kommt noch einmal in den Lidl-Markt zurück und sagt mir, dass sie noch etwas bei Obi gegenüber zu kaufen hätten – und da könnten wir dasselbe Verfahren noch einmal ablaufen lassen. Nein, nein, danke, ich habe schon Geld in Hülle und Fülle! Die Pension kann bezahlt werden – und ich kann auch sonst wieder leben und vor allem eben auch in die einfachen Restaurants gehen! 

Bei der Weiterfahrt nach Kroatien stelle ich fest, auch hier dasselbe, die Bankautomaten spucken einfach immer noch kein Geld aus. Also wieder dasselbe Verfahren diesmal in einem (österreichischen) Billa-Lebensmittelmarkt in Agram (der deutsche Name klingt doch viel poetischer als der kroatische Name „Zagreb“) in der Nähe meiner Freunde – und auch hier klappt alles auf Anhieb wunderbar... Ja, ich hätte natürlich etwa auch zu einer Tankstelle gehen können, wichtig ist eben, dass es viele Kunden gibt und sie auch nicht nur Kleckerbeträge bezahlen.

In Agram war ich bei einem Freund (und seiner Familie), den ich als Arbeiter beim Kalksandsteinwerk hier in Blatzheim kennen gelernt hatte und der wegen Krankheit vorzeitig in Rente gegangen war. Wir haben gemeinsam einige Museen in Agram durchstöbert und waren auch im Lourdes Kroatien, in Maria Bistritz. Hier eine Kreuzwegstation - sehr realistisch!


In der Kathedrale von Agram liegt hinter dem Altar der von den Kommunisten von 1946 - 1951 eingekerkerte Kardinal Stepinac, der auf internationalen Druck aus der Haft entlassen wurde, allerdings dann im Pfarrhaus in seinem Heimatdorf unter strengstem Hausarrest stand. Dort starb er 1960. Seien Seligsprechung 1998 ist nicht unumstritten, denn Stepinac war nicht gerade ein Mann des Ausgleichs, des Friedens, der Versöhnung.

 

"Garküche" auf einem Markt etwas außerhalb von Agram - ja jetzt bin ich auf dem Balkan gelandet!


Zwei Musikanten in dieser Garküche. Die Lieder, die sie spielten und sangen, kamen mir bekannt vor, offensichtliche kroatische "Schlager"! Auch dafür brauchte ich Bargeld: Ich habe mir eine kleine Weinkelter für die erhofften Trauben meines kleinen Weinstocks zuhause!

Noch einmal ist also alles gut gegangen mit dem Geld. Doch es wird mir eine Lehre bei meinen nächsten Fahrten sein: Nie mehr nur auf ein einziges System verlassen! Und das Postsparkonto bietet sich als Ausweichmöglichkeit an: Man kann pro Jahr im Ausland gratis bis zu zehn Geldabhebungen vornehmen.

Anmerkung zu den Ortsnamen: Ja warum nur sind wir Deutschen nicht so selbstbewusst, dass wir fast nie unsere traditionellen deutschen Namen für die Orte im Osten verwenden? Die Ungarn sind da nicht so verklemmt, sie benutzen die Namen in der Sprache, in der auch der übrige Text ist. Dort fahren in den Zugankündigungen also die Züge nach Zagrab, und der Pilot in der (ungarischen) Wizzair-Maschine informiert bei dem Flug Düsseldorf (Weeze) – Budapest, dass wir gerade über Preßburg flögen...

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